Bei uns in Mali oder Spurensuche in einem fernen Land
Von Werner Laube
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Zusammen mit fünf anderen jungen Männern reiste ich im April 1967 mit einer „Iljuschin-18“
der Interflug zum ersten Mal nach Mali. Elf Tage später, nach sechs Stunden Fahrt auf einem
offenen Militär-Lastwagen, trafen wir im Centre d'Animation Rurale von Dioro, einem landwirtschaftlichen Entwicklungszentrum, ein.
Außer unserem privaten Gepäck hatten wir einen Traktor „GT-124“ und sieben Luftfrachtkisten
mit Lebensmitteln Wasserfiltern, Moskitonetzen und Werkzeug mitgebracht.
Dreihundert Kilometer von der Hauptstadt Bamako entfernt, ohne Strom
und bei Temperaturen bis 46° C stellten wir als Vorhut einer „Brigade der Freundschaft“ der
Freien Deutschen Jugend gemeinsam mit jungen Maliern zunächst Betonsteine für den Bau einer
Schlosserwerkstatt her und bereiteten wir auf 40 Hektar Brachland die erste Aussaat von Hirse,
Baumwolle, Reis und Erdnüssen vor. Mit Fuchsschwanz, Langhobel und Stechbeitel zimmerte
ich aus Kistenbrettern und Mahagonibohlen Möbel, Werkbänke, Fenster und Dächer. Manchmal
steuerte ich auch unseren Traktor über das Feld, an den wir - Not macht erfinderisch _ drei
Ochsenpflüge angehängt hatten. Erst Monate später bekamen wir Generator, Maschinen und
zwei sowjetische Traktoren Marke „Belarus“ aus der Heimat.
Die tägliche Arbeit im Camp und
der Kontakt mit den Dörflern schufen Vertrauen und gewährten uns einen guten Einblick in ihr
Leben, ihre Kultur und ihre islamischen Bräuche. Das animierte mich immer wieder zum Malen,
zum Fotografieren und zum Erlernen der Bambara- Sprache.
Ich genoss ihre Musik, ihre temperamentvollen Tänze und malte, auf Beton kniend,
für eine Theatergruppe aus Dioro mein erstes dreizehn Meter langes Bühnenbild.
Nicht nur freudige, auch dramatische Ereignisse sind mir aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben.
Da gab es das Hochwasser 1967, wo wir fünf Wochen von
den Fluten des Niger eingeschlossen waren, und den Militärputsch im Herbst 1968. Da waren .
aber auch Leprakranke und ein Krüppel, der in Bamako zwischen hupenden Autos auf Händen
und Knien über die Straße kroch. Von diesem Moment an sah ich die Welt und unsere Sorgen
daheim mit anderen Augen.
Zwei Jahre habe ich in Mali gearbeitet, und wie eng mir das Land
schon ans Herz gewachsen war, bemerkte ich erst später. Wenn ich zu Hause davon erzählte,
begann ich das oft mit den Worten „Bei uns in Mali“.
Siebenunddreißig Jahre nach meiner Rückkehr aus Afrika, im Oktober 2006, besuchte ich noch
einmal das Land am Niger. Mit mir reisten meine Frau Claudia und sechs unserer Freunde. Die
Hälfte unserer Gruppe waren ehemalige FDJ - Brigadisten, die nicht nur Timbuktu, Djenné und
das Dogonland, sondern auch Dioro wieder sehen wollten. Der fast siebzigjährige Heinz, fünf
Jahre lang Brigadeleiter in Dioro, war schwerkrank und wollte sich mit dieser Reise noch einen
letzten Wunsch erfüllen.
Diesmal traten wir im klimatisierten Mercedes-Kleinbus die Fahit an.
Malis Städte erkannte ich kaum wieder, doch die endlose Baumsavanne beiderseits der Piste
erschien mir sogleich vertraut und im üppigen Grün der Regenzeit betörend schön. Fünfzehn
Kilometer vor unserem Ziel aber erlebte ich eine Überraschung: Wo früher Kapokbäume und
Baobabs standen, erstreckten sich nun endlose Reisfelder! Auch Dioro war mir fremd geworden.
Sein Dorfrand war gut einen Kilometer „nach vorn gerückt“. Rein zufällig entdeckte ich später
zwischen blühenden Akazien die langen Steinbauten mit den braunen Wellblechdächern. Das
konnte nur das frühere Centre d'Animation Rurale sein - unser damaliger Wohn- und Arbeitsort!
Vom Äußeren her hatten sich die einstigen Unterkünfte der FDJ -Brigade und der malischen
Partner kaum verändert. Der Hof des Camps aber, auf dem einst kein Grashalm wuchs, war nun
mit saftigem Rasen bedeckt. Ein paar Kühe und Esel weideten darauf oder nutzten die wenigen
Bäume als Schattenspender. An die Werkstatt, das damalige „Prunkstück“ unserer gemeinsamen
Bautätigkeit, erinnerten nur noch die Mauern mit traurigen Resten der Kiefernholztore und der
Fensterrahmen, die ich vor 38 Jahren selbst angefertigt hatte. An der Wand hing ein Kraftstromschalter,
auf dem ich gerade noch ein paar deutsche Worte entziffern konnte.
Unser Kommen war nicht unbemerkt geblieben. Schon nach wenigen Minuten waren wir von jungen Leuten umringt.
Ich grüßte sie auf Bambara und fragte sie nach dem Befinden ihrer Eltern, Geschwister und Haustiere.
Das überraschte sie total und öffnete uns sogleich ihre Herzen.
In der Hoffnung, hier vielleicht noch ein bekanntes Gesicht von damals wieder zu finden,
hatte ich eigene Fotos von früher bei mir. Auf ihnen waren Bauern, Wäscherinnen, Handwerker, Tänzerinnen, Jäger
und Kinder aus Dioro zu sehen. Als ich eines der Bilder hoch hielt, auf dem mein damaliger
Tischlerkollege Raphael abgebildet war, rief einer der Malier überrascht “Das ist ja mein Vater!“
Tamas war nun der Verwalter des Camps und öffnete uns bereitwillig Türen und Fenster der
Häuser, in denen wir einmal gewohnt haben. Hier hatten wir uns oft nachts auf schweißnassen
Luftmatratzen schlaflos herum gewälzt und wegen des Geschreis der liebestollen Esel kein Auge
zugemacht. Sein Vater lebe nicht mehr, erzählte uns Tamas, doch er habe auf einem Foto noch
den früheren Feldscher und Paiteisekretär der Union Soudanaise entdeckt.
Und dann stand er vor
uns, der hünenhafte alte Mann mit den weißen Haaren und dem blauen, knöchellangen Grand
Boubou. Ich konnte es vor Freude kaum fassen: Es war leibhaftig unser alter Freund Amadou!
Er war von dieser unverhofften Begegnung ebenso gerührt wie ich und umarmte auch Heinz,
Heidi und Mirko mit großer Herzlichkeit. Sogar an unsere Vornamen konnte er sich noch
erinnern. Ohne zu zögern übergab ich Amadou die mitgebrachten Fotos, und er bedankte sich
auch im Namen seiner Nachbarn für das kleine, für ihn aber kostbare Geschenk
Damit hieß es
Abschied nehmen von Dioro und den alten und neuen Freunden hier. Auch wenn ich es in diesen
Augenblicken gar nicht so deutlich empfand - diesmal war es wohl ein Abschied für immer.
Fünf Tage nach unserer Rückkehr nach Deutschland ist mein Freund Heinz gestorben.