Fluchtbericht von Karl Nicko

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Karl Nicko und Frau

Karl Nicko
und seine Frau Auguste
vor ihrem Haus

Den folgenden Bericht von der Flucht vor der herannahenden Front
hat mein Großvater Karl Nicko aufgeschrieben,
als er zum ersten Male wegen seiner Lungentuberkulose
in der Heilstätte Bärwalde, nahe Uhyst, behandelt wurde.
Er hat den Bericht für jedes seiner Kinder handschriftlich kopiert.

Detlef Nicko 







Erinnerungen an die Flucht im Jahre 1945 infolge Kriegseinwirkung

  aufgeschrieben von Karl Nicko Skerbersdorf O. L. in der Heilstätte Bärwalde 1951
im Krankenhaus Görlitz 1960 nochmals ausführlicher  geschrieben.

  Am 14. Februar 1945 erhielten wir die erste Einquartierung durch deutsche Wehrmachtssoldaten. Unsere Truppen wurden aus Rußland zurückgedrängt, sollten die Oder-Grenze halten und weil ihnen das nicht gelang, dann die südwestliche Seite der Lausitzer Neiße  besetzen. 

Wir  Bewohner von Skerbersdorf wurden am 21. Februar 1945 zur Flucht alarmiert, ein Kraftfahrzeug wurde zur Verfügung gestellt. Die meisten der Einwohner benutzten diese Fahrgelegenheit und ließen alles im Stich, auch das Vieh, und setzten sich in das Fahrzeug. Etliche Besitzer, die meisten aus den Ausbauten, darunter auch ich mit meiner Familie, fuhren nicht mit. In den frühen Morgenstunden des 21. 2. sahen wir mit meiner Frau, als wir noch im Bett waren, aus den Fenstern in nördlicher Richtung den Himmel ganz rot, wie wir später erfuhren, brannte das Dorf Wendisch Musta. uns wurde bange ums Herz und wir wünschten uns die Ankunft des HErrn Jesus, um diesen schweren Stunden aus dem Wege zu gehen.
Am 22. 2. wurden wir von der Feldgendarmerie gedrängt, besonders die, die wir Kinder hatten, auch den Ort zu verlassen und uns in Sicherheit zu bringen.

Nachdem wir zu Gott, dem Allmächtigen, um Schutz auf unserer Flucht und um Bewahrung unserer Häuser gebetet hatten, verließen wir auch die Heimat am 22. 2. nachmittags. Um uns waren damals die 3 jüngsten Kinder, der Heinz war damals schon verheiratet und wohnte in Daubitz, Helmut und Rudi waren im Kriege.
Ich hatte mir einen Kastenwagen mit Strohdach zubereitet, wo wir das Nötigste hineinpacken konnten. Mit Hilfe der Zugtiere (Kühe und ein Ochse) traten wir unsere Flucht in Richtung Brand - Haide an. Am ersten Tage kamen wir nur bis Brand, etwa 4 km von uns. Von hier mußte ich abends noch einmal zurück, um die Vorderwagenkarre des noch zu Hause stehenden Wagens zu holen, weil uns die Achse vom ersteren Wagen gebrochen ist.
Mit Hilfe einer noch zu Hause stehen gebliebenen Kuh brachte ich den Vorderteil dieses Wagens bis Brand, wo wir mit meinem Nachbarn den gebrochenen Teil des Wagens auslösten und den geholten Vorderteil einbauten. Bis zum 25. 2. blieben wir in Brand bei der Frau Tschendel und fuhren dann an diesem Tage weiter bis Blockstelle Weißkeissel (an der Bahnlinie Görlitz - Berlin zwischen Rietschen und Weißwasser). Hier waren 2 Bahnpersonal - Häuser, außerdem eine Wohnbaracke und Ställe vorhanden, wo wir uns niederlassen konnten. Hier sammelten sich nach und nach etwa 90 Flüchtlinge aus Skerbersdorf und Pechern an, bis auf den letzten zusammengedrängten Platz.
Hier gefiel es uns, es störte uns niemand außer dem Rattern der Eisenbahn, die hier öfters bei Tag und Nacht vorüber brauste. An Lebensmitteln fehlte uns nichts, zumal wir unsere Kühe mithatten, die uns mit Fettigkeiten versorgten. Außerdem fuhren wir öfters per Fahrrad nach Hause zurück und holten uns noch einen Teil der zu Hause verbliebenen Sachen, so auch Heu und sonstiges Viehfutter.Den Ochsen, den wir mitnahmen, verkauften wir und trieben ihn zum Schlachten nach Weißwasser, weil er sich zum Zug schlecht eignete. Vom 25. 2. bis 12. 4. durften wir hier ungestört wohnen und immer wieder die Heimat besuchen, auch Hafer säen konnten wir Ende März daheim mit Hilfe eines Pferdegespanns aus Pechern. Bei all diesen Besuchen und Arbeiten daheim kamen auch Geschosse vom Feind geflogen, die uns wohl schreckten, doch der treue HErr hielt seine schützenden Hände über uns.

Am 11.4. kamen Vorgesetzte aus der Deutschen Wehrmacht und sagten uns an, daß wir umgehend dieses Flüchtlingslager verlassen müssen, um Deutschen Soldaten Platz zu machen. Frauen und Kinder wurden noch an demselben Tage mit einem Omnibus nach Mücka in ein Sammellager gebracht, um von dort mit der Bahn weiter transportiert zu werden. Meine Frau blieb bei mir, weil sie mich nicht allein mit dem Gespann lassen wollte.
Die Kinder ließen wir fahren, weil uns Bekannte versprachen, sie vorübergehend zu betreuen, bis wir sie wieder abholen. Am 12.4. fuhren wir dann mit dem Gespann in Richtung Süden bis nach Altliebel, wo wir in einer Gutsscheune übernachteten. Noch am selben Abend (12.4.) fuhren wir mit der Frau mit Fahrrädern nach Mücka und holten den Gottfried wieder zu uns.
Am 13.4. ging unsere Reise weiter nach Reichwalde. Dort übernachteten wir in einem Sägewerksschuppen, weil sonst nirgends Platz war. Am 15.4. zogen wir nach Nochten (über Schadendorf). Hier konnten wir bis zum 18.4. bleiben und holten uns am 16. und 17.4. per Fahrräder mittels Säcke Heu nach Haide.
Am 18.4. früh mußten wir Nochten verlassen und fuhren die Straße Richtung Bautzen. Die Straße war voller Flüchtlinge. Über Boxberg und Lieske fahrend, erreichten wir an dem Tage den Ort Mönau. Hier war auch nur noch Platz in einem Dominium-Stall, wo wir und unser Vieh Nachtquartier fanden. Hier erhielten wir von unserer Wehrmacht Essen.

Es drängte alles zur Weiterfahrt, weil es hieß, der Feind ist nicht mehr weit. Deshalb reihten wir uns auch wieder in die voll besetzte Straße ein und fuhren am 19.4. über Rauden, Wessel, Lippitsch und Opitz bis unweit des Ortes Johnsdorf, wo die Straße so voll gepfropft war, daß alles zum Stehen kam. Auch kamen uns feindliche Reiter entgegen, die uns nicht mehr weiter ließen, hier büßte ich auch meine Uhr ein. Die Trauringe hatten wir in ein Kissen eingenäht, sie sind uns geblieben.
Noch am 19.4. fuhren wir wieder ein Stück zurück, doch die Straße war so voll von Flüchtlingen und feindlichen Fahrzeugen angefüllt, daß ein Weiterkommen unmöglich war. Wir sahen uns gezwungen, im Walde zu übernachten. Dies war wohl eine der furchtbarsten Nächte, die wir erlebten. Gewaltige Detonationen erschütterten die ganze Gegend, wahrscheinlich durch Sprengung von Munitionslagern. Außerdem hörten wir die ganze Nacht Schießerei, Gebrüll und ein endloses Vorbeifahren mit Fahrzeugen aller Art.
Wir empfiehlen uns dem Schutze unseres geliebten HErrn und durften Ihm am Morgen des 20.4. dankbar sein für seine wunderbare Bewahrung. Wir fuhren zurück nach Opitz, wo wir uns den Tag über aufhielten, wegen der großen Zahl von Flüchtlingen. Deswegen fuhren wir noch am Abend des 20.4. nach Hermsdorf. Hier fanden wir bei dem Schmiedemeister Kschischo Herberge. Hier hielten wir uns bis zum 25.4. auf, weil es uns nicht klar war, in welcher Richtung wir weiterziehen sollten, nach allen Richtungen hörten wir Schießerei. In diesen 5 Tagen der Rast besorgten wir uns wieder Viehfutter, außerdem erkundigten wir uns bei unserer Wehrmacht, die in Uhyst lag, wo der günstigste Weg zum Herauskommen aus diesem Kessel wäre.

  Auf Anraten unserer Wehrmacht zogen wir am 25.4. gegen Abend über Lippitsch nach Wessel, wo wir in einer Dominium-Scheune über Nacht blieben. Wir konnten sehr wenig, wegen der nahen Schießerei, schlafen. Am 26.4. ging unser Zug weiter über Jetscheba und Commerau, hier blieben wir auch noch am 27.4., weil unsere Kinder auf einem Heuboden Platz zum Schlafen fanden, wir mit der Frau blieben im Wagen, das Vieh in einem Schuppen.
Am 28.4. setzten wir unsere Reise fort über Halbendorf, Lömischau bis nach Wartha. Hier blieben wir wieder einen Tag liegen  und durften am 29.4. den Geburtstag meiner Frau feiern bei Plinsen und Kaffee. Die Plinsen wurden bei offenem Feuer  im Freien gebacken. Am 30.4. setzte sich unser Zug weiter in Bewegung über Dauban und Weigersdorf  bis nach Ober-Prauske. Auf diesem Wege sahen wir Spuren von einem Gefecht, da wir vereinzelt am Wegesrand tote Menschen und Tiere sahen.
Am 1. Mai fuhren wir weiter über Gebelzig und Buchholz nach Margaretenhof. Hier durften wir wieder einige Tage Rast machen, da es hier wieder ruhig war (ein Gefecht hat hier schon vorher stattgefunden). Wir fande Unterkunft in einem kleinen Häuschen, gehörig einem gewissen Baumgard. Hier bekamen wir von Leuten der Ortsbehörde Verpflegung.

               Am 4. Mai mußten wir lt. höherer Anordnung den Ort verlassen und fuhren gegen Abend über Melaune bis zur Straßengabelung Neukunnerwitz. Hier übernachteten wir im Wagen und fuhren am 5.5. weiter über Schöps, Oehlisch uns Sohland bis Niederreichenbach. Hier fanden wir Aufnahme bei unseren lieben Geschwistern Volke, die sich zu Hause befanden. Noch 3 andere Gespanne aus unserer Nachbarschaft blieben ebenfalls in anderen Häusern in Niederreichenbach.
Vom 5.5. bis 10.5. konnten wir hier rasten und verlebten hier in einem Keller in der Nachbarschaft von Geschw. Volke die Nacht vom 7. zum 8. Mai, wo wir Schutz fanden von den schweren Geschossen, die in dieser Nacht einen Teil von Reichenbach in Schutt und Asche legten. Am 8.5. war auch dieses Städtchen von Russen besetzt und wir durften dem HErrn dankbar sein, daß er uns so wunderbar erhalten hat.

Am 10.5. traten wir unsere Heimreise an und fuhren in Richtung Niesky. Wir erreichten am 10.5. nicht ganz Niesky, sondern übernachteten unter freiem Himmel hinter der Kreuzung Niesky-Diehsa, unweit des Wasserflusses. Hier waren wir mit unzähligen Flüchtlingen, die wieder zurück zur Heimat zogen, zusammen.
Am 11.5. zogen wir durch Niesky der Heimat zu und erfuhren in Stannewisch, daß in Rietschen eine russische Kommandantur ist, die uns nicht weiter lassen will. Aus diesem Grunde schlugen wir vor Rietschen den Weg links nach Zedlich ein und blieben hier in einem Hause über Nacht. Am Morgen, dem 12.5., ging es weiter über Nieder Prauske nach Rietschen.
An der Kreuzung Daubitz-Werda angelangt, mußten wir auf Anordnung der russischen Wehrmacht nach rechts über Neuhammer fahren, zum Glück waren die Brücken zwischen Neuhammer und Daubitz noch ganz. Hinter den genannten Brücken benutzten wir einen Feldweg und erreichten gegen Mittag das Flüßchen "Raklitza". Hier machten wir im Schatten "Halt", um eine Mittagspause zu halten. Bei dieser Gelegenheit besuchten wir das Haus Ernst Tusche - Heinz Nicko, aber wir trafen niemand an. Wir sahen nur Spuren der Verwüstung.

Nachmittags fuhren wir über Heidehäuser und erreichten bald wieder die Straße 115, kurz ehe wir auf dieser Straße waren, wurden wir geplündert. Wir verloren mehrere Hühner, die wir unter dem Wagen in einem Käfig hatten und ebenfalls ein kleines Schwein und noch sonstige Kleinigkeiten. Anderen Flüchtlingen wurden auch verschiedene Gegenstände genommen, aber die Hauptsachen, wie Zugvieh u.s.w. sind uns geblieben.
Wir erreichten noch am 12.5. den Landweg, der von der 115 nach Brand über den Schokoladenberg führt. Als wir unterhalb des zweiten Hügels waren, mußten wir wieder Rast machen, denn unser Vieh konnte nicht mehr. Es war im Walde hier sehr ruhig, nur der Lärm von der etwa 1 km entfernten Straße 115 war zu hören. Wir verbrachten die Nacht wieder hier unter freiem Himmel und machten uns am 13.5. morgens beizeiten auf das letzte Stück unseres Weges.
Gegen 9 Uhr morgens durften wir am Sonntag, dem 13.5. die Heimat erreichen, eine Woche vor Pfingsten. Unsere Häuser waren noch ganz, dagegen die Nachbarhäuser ganz oder teilweise zerstört. Unser Hof war dicht besät mit Dachziegelstücken, die durch Sprengung der Nachbarhäuser hierher geflogen sind.

Jeder der diese Zeilen liest und noch einen Glauben an Gott hat, wird es sich denken können, wie dankbar wir dem treuen himmlischen HErrn waren für diese wunderbare Führung und Erhaltung.
Schon 2 Tage später, am 15.5. durften wir die ersten Kartoffeln stecken, die Saat-Kartoffeln hat uns niemand entwendet, sie waren noch alle da. Ebenfalls andere Lebensmittel, wie Speck und Einweckgläser, die wir in der Erde versteckt hatten, fanden wir noch genießbar vor.

  Und nun zum Schluß aus Psalm 37.5 "Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe auf Ihn; Er wirds wohl machen." Psalm 44.9 "Wir wollen täglich rühmen von Gott und Deinen Namen danken ewiglich."  



Psalm 37,5

Ausschnitt aus dem Original



Fluchtkarte

Fluchtweg auf der Landkarte